Angelica Choc: „Am eigenen Körper habe ich den Schmerz erfahren. Und genau so wie ich leidet Mutter Erde, wenn wir sie ihrer Ressourcen berauben.“

Angelica Choc ist eine mutige, kraftvolle und charismatische Leaderin. Eine Frau, die mit Herz und Tat  für ihre Rechte und die Rechte der indigenen Gemeinschaften einsteht.

Trotz des niederschmetternden Gerichtsurteils vom 6. April, das den mutmasslichen Mörder ihres Mannes auf freien Fuss setzte, lud sie wenige Tage später, am internationalen Tag von „Madre Tierra“ und Geburtstag ihres Mannes, zu einem Dank- und Gedenkfest. Sie setzte damit ein kraftvolles Zeichen gegen das Unrecht und bestärkte die indigenen Dorfgemeinschaften im Kampf um ihre legitimen Rechte.

 „Nein – es ist keine Niederlage! Die Richterin genoss unser Leiden. Sie stand auf der Seite des Unternehmens. Wir haben während Jahren Zeugnis abgelegt. Es erging uns wie den indigenen Gemeinschaften, wir wurden nicht gehört!

Was Mutter Erde erleidet, müssen auch wir ertragen. Wir wollen unentwegt weiter eintreten für unser Recht auf Leben. Wir lassen uns nicht auseinander dividieren. Denn genau das ist es,  wollen sie wollen! Uns entmutigen und sie hoffen darauf, dass wir aufgeben.“
Angelica Choc

Am 6. April 2017 wurde ihrem getöten Mann, Adolfo Ich und German Chub, der gleichentags angeschossen wurde und seither gelähmt ist, die ersehnte Gerechtigkeit verweigert.  Nach jahrelangem, rechtsstaatlich fragwürdigem Prozess sprach eine Einzelrichterin den mutmasslichen Mörder frei und setzte ihn umgehend auf freien Fuss, lange bevor das Urteil rechtskräftig ist. Sie drehte sogar den Spiess um, und beauftragte die Staatsanwaltschaft, ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage und Irreführung der Rechtspflege zu eröffnen. Ein absoluter Tiefschlag für Angelica Choc und German Chub. Das Urteil hat Sprengkraft. Es droht, die Dorfgemeinschaften, die sich für ihre Rechte einsetzen, zu entzweien und zu entmutigen, deren Einheit und Entschlossenheit zu brechen.

Wenige Tage nach diesem Tiefschlag, und obwohl gesundheitlich angeschlagen, lud Angelica am 22. April 2017 zu einem grossen Dank- und Gedenkfest in ihr Haus. Ein symbolträchtiger Tag. Es ist der internationale Tag von „Madre Tierra“ und der Geburtstag ihres ermordeten Ehemannes, der an diesem Tag 59 Jahre alt geworden wäre.

Rund hundert Personen, Repräsentanten und Repräsentantinnen von 10 Dorfgemeinschaften, Vertreterinnen und Vertreter von internationalen Organisationen und die Anwälte, die den Fall in Kanada vertreten, folgten der Einladung. Wir von ACOGUATE durften diesen denkwürdigen Tag begleiten.

Zu Beginn versammelten sich die Frauen von Lote Ocho und Angelica vor dem Altar, den Angelica zur Ehre von Mutter Erde und im Gedenken an ihren Mann in ihrem Haus hergerichtet hatte. Ein ergreifender Moment. Die Kraft der Gemeinschaft  und der Schmerz über das erlittene Unrecht füllten den Raum. Die indigenen Frauen von Lote Ocho wurden 2007 durch eine Massenvergewaltigung verletzt  und gedemütigt. Sie wehrten sich für ihre Rechte und gegen die Vertreibung durch die Minengesellschaft.

Später, wieder im Freien, traten reihum die 10 Vertreter und Vertreterinnen der Dorfgemeinschaften ans Mikrophon. Mit würdigen Worten benannten sie den Kampf, den ihre Gemeinschaft führt und bekräftigten das Versprechen, zusammen zu stehen und sich gemeinsam weiter für ihre Rechte einzusetzen. Besonders still wurde es, als Maria Caal das Wort ergreift. Sie hatte während dem Bürgerkrieg ihren Mann und die ganze Familie verloren. Mit kraftvollen, sanften Worten erinnert sie an die grausame Geschichte und an die Bedeutung des Kampfes. Sie schliesst mit den Worten: „Wir haben keine Angst! Gott begleitet unseren Kampf!“ Worte die nachklingen und haften bleiben. Ramiro, Angelicas Bruder beschliesst den weltlichen Teil der Feier mit den Worten: „Der Kampf geht weiter, sie haben uns nicht geschlagen. Der Ruf von Mutter Erde behält die Oberhand“. Es ist still, ich spüre dass er den Menschen aus dem Herzen gesprochen hat.

Zum Fest waren auch 5 Maya Priesterinnen und Mayapriester geladen. Gemeinsam gestalteten Sie den spirituellen Teil der Feier. Die Opfergaben auf dem Altar wurden gesegnet und dann zum Steinkreis im Freien getragen. In einer rituellen Handlung, deren tiefere Symbolik ich nur ansatzweise verstehe, gestalten sie in der Mitte des Steinkreises den Kosmos der Maya, Symbole für die vier Himmelsrichtungen, Himmel, Erde, Wasser und Luft. Mais, Weihrauch, Nahrungsmittel und Getränke werden niedergelegt und anschliessend dem Feuer übergeben. Unablässig werden Gebete gesprochen. Für mich war der berührendste Moment, als sich alle Anwesenden zur Anrufung der Kräfte in die vier Himmelsrichtungen ausrichteten. Der Moment, in dem die tiefe Verbundenheit des Maya Weltbildes mit der Natur zum Ausdruck kam. Zum Abschluss segneten die Priester und Priesterinnen die Hauptakteure und baten um Schutz und Kraft für den beschwerlichen und zeitweise gefährlichen Weg.

Der Tag wurde mit einem grossen Festmahl beschlossen. Das Mahl in Gemeinschaft, im wortwörtlichen Sinn nährend, für jeden Einzelnen und die Gemeinschaft. Später erklärte uns Angelica, dass auch die Speisen, die an diesem Tag gereicht wurden, eine tiefe Bedeutung haben.

Ich bin sehr dankbar, dass ich an diesem Tag beiwohnen durfte. Ich ziehe von Angelica für Ihre Unerschrockenheit, Ausdauer und die Gabe, WeggefährtInnen zu einen, den Hut.

Hintergründe zum Fall

Seit mehr als als 15 Jahren führt Angelica einen gewaltlosen Kampf gegen die nahe gelegene Nickelmine, welche das Wassers des Izabal Sees vergiftet und indigene Dorfgemeinschaften vom Land ihrer Väter und Mütter vertreibt an. Ein entschlossener Kampf, den ihr Mann mit dem Leben bezahlte. Er wurde 2009 durch Sicherheitskräfte der Nickelmine (CGN, Compañia Guatemalteca de Níquel) erschossen. Seither sucht Angelica Gerechtigkeit vor Guatemaltekischen und Kanadischen Gerichten.

Mit internationaler Unterstützung konnten Angelica Choc, German Chub und die indigenen Frauen von Lote Ocho, vor einem kanadischen Gericht erste Erfolge erringen. In einem wegweisenden Urteil anerkannte das kanadisches Gericht die Mitverantwortung der (damaligen) kanadischen Eigentümerin der Mine, hudbay Minerals, und trat auf die Klagen der Opfer ein.  Derzeit läuft der Zivilprozess gegen Hudbay Minerals noch. Ein Schuldspruch käme einem Dammbruch und Meilenstein im Kampf gegen die vermeintliche „Immunität“ der  Konzerne  in Schwellenländern gleich.
Während man in Kanada hoffen darf, bleibt Angelica und German die ersehnte „Gerechtigkeit“ in Guatemala vorerst verwehrt. Mit einem vernichtenden Urteil sprach eine Einzelrichterin Anfang April den mutmasslichen Täter frei und setzte ihn gleichentags, bevor das Urteil rechtskräftig wurde (!!), auf freien Fuss.

Das Unheil zeichnete sich seit länger Zeit ab. Ermittlungen wurden schlampig geführt und der Prozess wurde unerträglich in die Länge gezogen. Die Richterin wies von der Anklage vorgebrachte Beweise mit fadenscheinigen Begründungen zurück und übernahm die Sichtweise der Verteidigung des mutmasslichen Täters weitgehend.  Anfangs Februar 2016 wurde dann, angeblich zum Schutz der Opfer,  die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen. Dies, obwohl sowohl die Opfer als auch die Nebenkläger ausdrücklich auf einer öffentlichen Verhandlung bestanden. Mit diesem Entscheid wurde die rechtsstaatliche Legitimation des Prozesses endgültig ad absurdum geführt. Seit der mutmassliche Mörder am 6. April auf freien Fuss gesetzt war, wurde er nicht mehr gesehen. Der Verdacht, dass er sich für den  Fall einer Appellation, welche sehr wahrscheinlich ist, erneut durch Flucht ins Ausland der Justiz zu entziehen versucht, ist mehr als naheliegend. Auch die Vermutung von einigen Beteiligten, dass Bestechung im Spiel ist, ist angesichts der Fakten nicht von der Hand zu weisen, obwohl sich bisher nichts derartiges beweisen lässt.

Der Fall Maynor Padilla  – Rassendiskriminierung

Die Frauen von Lote Ocho

Ein Eintrag zu „Angelica Choc: „Am eigenen Körper habe ich den Schmerz erfahren. Und genau so wie ich leidet Mutter Erde, wenn wir sie ihrer Ressourcen berauben.“

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